Jahrestag des Kriegsendes in Europa: Wie der Parlamentär Pater Linus Kötter aus Niedereimer zum Frieden beitrug

08.05.2021 – 76 Jahre Kriegsende in Europa 

Altes Tagebuch im Nachlass entdeckt  

NIEDEREIMER  Vor einigen Tagen entdeckte ein Familienmitglied im Nachlass ihres Mannes eine alte Kladde. Als sie diese aufschlug, wusste sie sofort was sie in den Händen hielt. Es war das alte Tagebuch von Pater Linus Kötter, sie hatte es vor einigen Jahren von ihrer Oma zum Lesen erhalten. Doch es geriet nach und nach in Vergessenheit. Dieser Pater Kötter lebte und arbeitete im Krieg gut zwei Jahre in Niedereimer. Zu dieser Zeit wohnte er in einem Privatquartier an der Oberstraße (ht. Niedereimerstraße), einer weitläufigen Verwandten der Finderin. Schnell setzte sie sich mit dem Ortsheimatpfleger und AKD-Vorsitzenden in Niedereimer in Verbindung und übergab nun das einmalige Tagebuch an Detlev Becker. Diese, von Pater Kötter gemachten Aufzeichnungen, enthalten wertvolle Informationen aus dem Dorfleben Niedereimers in den schweren Kriegsjahren zwischen 1943 und 1945.

Doch wer war dieser Pater Linus Kötter und was hat er mit Niedereimer zu tun? Linus Kötter wurde 1914 in Emsdetten geboren und wuchs dort auch auf. Nach dem Besuch der Missionsschule absolvierte er sein philosophisch-theologisches Studium. 1936 legte er sein Gelübde bei den Herz-Jesu-Missionaren in Münster-Hiltrup ab. Die Priesterweihe erteilte ihm im Jahre 1941 der berühmte Bekennerbischof und Gegner der Nationalsozialisten Clemens August Graf von Galen in Münster. Ende 1943 kam er, für den erkrankten Pater Hoppe, nach Niedereimer als Pfarrverweser. In dieser schweren Zeit sorgte er sich um das Seelenheil der Dorfbewohner. Selbst noch relativ jung, lag ihm die Jugend des Ortes besonders am Herzen und so knüpfte er schnell Kontakt. Nachdem auch aus Niedereimer mehr und mehr Männer und Söhne des Dorfes im Weltkrieg ihr Leben lassen mussten und wenn überhaupt in fremder Erde bestattet wurden, wurden auf seine Anregung hin in der Kirche kleine Kreuzchen für jeden Gefallen aufgehängt. Die Weihe des kleinen Ehrenmals, in der alten Kirche bei der schmerzhaften Gottesmutter, fand am „Heldengedenktag“ 1944 statt. An diesem Tag war, laut seinen Aufzeichnungen, die Kirche so voll wie an den Weihnachtstagen. Nun hatten die Witwen und Mütter einen Platz wo sie um ihre Familienangehörigen trauern konnten. Ein folgenschwerer Gang für ihn ereignete sich am 11. April 1945. Er musste auf Drängen der amerikanischen Besatzer unfreiwillig als Parlamentär (bevollmächtigter Unterhändler zwischen feindlichen Heeren) in das noch unbesetzte Arnsberg. Hier sollte er für die kampflose Übergabe der Stadt Arnsberg sorgen. Doch in Arnsberg wurde er von dem nazitreuen Stadtkommanden festgesetzt und sollte in den letzten Kriegstagen wegen Landesverrat hingerichtet werden. Es begann ein in Todesangst unsägliches Martyrium für ihn. Die Todesstrafe wurde glücklicher Weise jedoch nicht ausgeführt. Er wurde allerdings in das Gefängnis der Jägerkaserne eingesperrt. Nach drei Tagen und der Besetzung Arnsberg aus anderer Richtung, konnte Pater Kötter gesund das Gefängnis in Arnsberg verlassen und nach Niedereimer zurückkehren. Doch dieses Ereignis hatte Pater Kötter ziemlich zugesetzt, sodass er aus Erschöpfung selbst das Krankenhaus aufsuchen musste. Er kehrte nach dem Krankenhausaufenthalt allerdings nicht wieder als Pfarrverweser nach Niedereimer zurück. Dadurch hat er vermutlich, bei seiner überraschenden Abreise im Mai 1945, das Tagebuch vergessen. Pater Linus Kötter trug, wenn auch gezwungener Maßen, mit seinem lebensgefährlichen Auftrag zum Ende des 2. Weltkrieges in Europa am 8. Mai 1945 in Raum Arnsberg bei. Vielen der älteren Mitbürger Niedereimers und Arnsbergs ist der Name Linus Kötter heute noch präsent und im Gedächtnis. Nach seiner Genesung war er später noch an verschiedenen Orten als Geistlicher tätig. 1981 starb er nach schweren Leiden, im Alter von nur 66 Jahren, in Hiltrup.

Der Arbeitskreis für Dorfgeschichte und -entwicklung Niedereimer e.V. überlegt, ob sie das Tagebuch des Parlamentärs und Retters von Arnsberg, zu einem späteren Zeitpunkt mal veröffentlicht. Vielleicht als eine weitere Ausgabe des Heimatblattes „Der Ninivit“. Derzeit vertreibt (wie bereits berichtet) der AKD Niedereimer e.V. das aktuelle Heft mit dem Titel „75 Jahre danach – gerettete Geschichte(n) zu NS-Zeit, Krieg und Neubeginn“, mit zahlreichen Zeitzeugenberichten und unter anderem der Kirchenchronik erstellt von Pater Linus Kötter. Nähere Angaben hierzu finden sie im Schaukasten des AKD (Stephanusweg 11, Niedereimer) oder hier:

Der neue Ninivit „75 Jahre danach – gerettete Geschichte(n) zu NS-Zeit, Krieg und Neubeginn“ ist da! – AKD Niedereimer

 

Text und Fotos: Detlev Becker, Niedereimer

FOTOS: Ehrenmal = Ehrenmal in der Kirche am Weihetag 12.03.1944

Kreuzchen = Holzkreuzchen eines Gefallenen vom ehemaligen Ehrenmal in der alten Kirche

Tagebuch Kötter = aufgeschlagenes Tagebuch mit Foto von Pater Linus Kötter in der Klosterverwaltung in den 1940er Jahren

 

 Auszüge aus dem Tagebuch

Auszüge aus dem Tagebuch des Pater Linus Kötter

  1. XI.1943 (erster Eintrag)

Mit dem ½ 5 Uhr Zug, der jedoch mit der üblichen Verspätung einläuft, kommt der „neue Pater“. Kein Mensch ist an der Bahn und so muß er sich sein Heim suchen im strömenden Regen und bei der Dunkelheit, wie der Monat November sie mit sich bringt. …

 

  1. III. 1944

Heldengedenktag. Wegen der Heldengedenkfeier, die von Partei (und) Kriegerkameradschaft veranstaltet wird, beginnen wir mit dem Hochamt etwas später, da ja das Denkmal für die im Weltkrieg Gefallenen etwas unterhalb der Kirche steht.

Wir wollen die Toten nicht vergessen, aber wir wollen auch derer gedenken die in diesem furchtbaren Völkerringen ihr Leben für Volk und Heimat ließen. Darum halten wir nachmittags eine sinnvolle Feier in der Kirche. Die Ehrentafel mit den Namen der Gefallenen am Ausgang der Kirche hing nicht ganz günstig. Deshalb entstand nach langen Hin und Her der Plan, in der Kirche ein Ehrenmal, schlicht und einfach zu errichten. Nach einigen Überlegungen war auch ein Platz dafür gefunden. Am Eingang der Kirche ist rechts in der Wand eine Nische mit der schmerzhaften Mutter. Sie hat doch allen Müttern, die um einem Toten weinen, allen Witwen und Waisen etwas zu sagen. …

 

  1. III. 1945

„Dies aber“ für Niedereimer. Nachmittags gegen 5 Uhr fallen viele Bomben in den Kraftfahrpark der Wehrmacht, der in der Ziegelei des Herrn Franz Bienstein untergebracht ist. Leider hat auch unser friedliches Dörfchen diesmal Schaden gelitten. Das Haus des Herrn Visarius, das bewohnt war von der Familie Ww. Winkelmann, Bauer und Bornemann, ist ein Trümmerhaufen. …

 

  1. IV. 1945

Um 9 Uhr Beerdigung der Frau Schäfer, anschließend das Amt. Um 12 Uhr muß alles die Straße verlassen. Dann bekomme ich den sehr heiklen und nicht ungefährlichen Auftrag, beim Verteidigungskommandanten in Arnsberg anzufragen, ob Arnsberg frei ist – wie es Ausländer ausgesagt haben – oder nicht. Mit der weißen Fahne ziehe ich los und komme nicht zurück. Der Stadtkommandant von Arnsberg, ein junger, unreifer Mensch von 27 Jahren, setzt mich gefangen und läßt mich zum Res. Laz. Jägerkaserne bringen. Das war ein Verstoß gegen die internationalen Genfer Abmachungen. Leider kann ich keine Nachricht nach Niedereimer bekommen, wo sich die Leute Sorge um mich machen. …

 

  1. IV. 1945 (letzter Eintrag)

Die Kinder müssen wieder in die Schule. Da aber die Schulräume zunächst mal wieder in Ordnung gebracht werden müssen, beginnen die Kinder in der Sakristei. Das geht ja auch, besonders, da der Lehrer und die Lehrerin zunächst mal Religionsunterricht erteilen, was ihnen seit mehr als 10 Jahren verboten war.

 

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